Montag, 26. November 2012

Wer ich war



Geboren bin ich in einer großen Stadt, aufgewachsen in einem Umfeld, mit einem kleinen Horizont. Viel zu sehen und zu bewundern gab es nicht in meiner Kindheit, umgeben waren wir von hohen grauen Häusern, kleinen Zäunen und einem Hof, dessen Rasen nie grün wurde, da wir es als Fußballplatz benutzten.
Die einzige Abwechslung boten die Geschehnisse, von denen unsere Eltern uns immer fernhalten wollten. Die Szenen einer Großstadt eben. Schon früh lernten wir, wie wir fachgerecht Spritzen entsorgen mussten, wenn die Junkies vom Platz wieder mal im Hof gefixt hatten und wo die Nutten nachts immer standen um zu arbeiten. „Böse Frauen“ war der nicht so ganz nette Begriff, den die Tanten und Omis aus der Nachbarschaft benutzen, um die Damen dieses Milieus zu beschreiben.

Man war eher unter „sich“. Ich glaube, viele aus meiner Elterngeneration haben Angst, vor der Welt da draußen, außerhalb ihrer gewohnten Umgebung, da sie oft ungute Erfahrungen machten, wenn sie sich mal raus wagten. Vielleicht beschlossen sie deshalb, uns erst einmal in ihrer Community zu behalten. Vielleicht hätten sie uns aber auch mit unserer Umgebung bekannt gemacht, wenn sie es denn selbst gekannt hätten. Wenn man nicht als die einzige Frau mit Kopftuch zu sehr aufgefallen wäre im Weihnachtsmarkt. So kam es, dass ich nie mit den „Anderen“ in Berührung kam. Von den Arabern wurde gesprochen, von den Kurden, von den Deutschen. Wer SIE waren, wurde uns nicht erklärt. Sie lebten irgendwo unter uns, jedoch viel zu weit entfernt. Wenn man einen Babysitter brauchte, war die Oma aus dem 1. Stock da, die uns betreute. Weihnachten, Ostern und Fasching gab es bei uns nicht. Ich lernte nie Deutsch sprechen, Türkisch genügte in meiner Umgebung.

Mit der Schule kam bei mir dann das große Erwachen. Plötzlich war ich in einer Welt, deren Sprache ich nicht verstand, ich nicht sprach.
Förderunterricht, Lehrer, die mich zum Schuleignungstest schickten, etliche peinliche Momente der Stille, der SPRACHLOSIGKEIT, der Verständnislosigkeit, waren die Dinge, die mich seit meiner Kindheit prägten. Ich kann mich an einen Arztbesuch erinnern, wo mich ein deutsches Kind ansprach, weil er der Meinung war, ich wäre viel zu alt für das Spielzeug, womit ich spielte. Ich war sauer auf mich selbst, weil ich ihm nicht entgegnen konnte, dass es ihn nichts zu interessieren hätte.

Meine Mutter sagte zu mir immer, ich müsse mich mehr anstrengen als die anderen, ich hätte eben mehr zu tun, jedoch könne ich das erreichen, wenn ich wollte. Sie wollte selbst immer die Schule beenden, Polizistin werden. Ich kann mich gut an den Tag erinnern, als sie mir ihre Tagebücher zeigte, mit Bildern von Polizisten bei der Arbeit.
Ich begriff, dass ich eine Chance hatte, die ihr niemals geboten wurde. Dass sie wollte, dass ich das machte, was sie nicht geschafft hatte.
Also kämpfte ich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen