Geboren bin ich in einer großen Stadt,
aufgewachsen in einem Umfeld, mit einem kleinen Horizont. Viel zu
sehen und zu bewundern gab es nicht in meiner Kindheit, umgeben waren
wir von hohen grauen Häusern, kleinen Zäunen und einem Hof, dessen
Rasen nie grün wurde, da wir es als Fußballplatz benutzten.
Die einzige Abwechslung boten die
Geschehnisse, von denen unsere Eltern uns immer fernhalten wollten.
Die Szenen einer Großstadt eben. Schon früh lernten wir, wie wir
fachgerecht Spritzen entsorgen mussten, wenn die Junkies vom Platz
wieder mal im Hof gefixt hatten und wo die Nutten nachts immer
standen um zu arbeiten. „Böse Frauen“ war der nicht so ganz
nette Begriff, den die Tanten und Omis aus der Nachbarschaft
benutzen, um die Damen dieses Milieus zu beschreiben.
Man war eher unter „sich“. Ich
glaube, viele aus meiner Elterngeneration haben Angst, vor der Welt
da draußen, außerhalb ihrer gewohnten Umgebung, da sie oft ungute
Erfahrungen machten, wenn sie sich mal raus wagten. Vielleicht
beschlossen sie deshalb, uns erst einmal in ihrer Community zu
behalten. Vielleicht hätten sie uns aber auch mit unserer Umgebung
bekannt gemacht, wenn sie es denn selbst gekannt hätten. Wenn man
nicht als die einzige Frau mit Kopftuch zu sehr aufgefallen wäre im
Weihnachtsmarkt. So kam es, dass ich nie mit den „Anderen“ in
Berührung kam. Von den Arabern wurde gesprochen, von den Kurden, von
den Deutschen. Wer SIE waren, wurde uns nicht erklärt. Sie lebten
irgendwo unter uns, jedoch viel zu weit entfernt. Wenn man einen
Babysitter brauchte, war die Oma aus dem 1. Stock da, die uns
betreute. Weihnachten, Ostern und Fasching gab es bei uns nicht. Ich
lernte nie Deutsch sprechen, Türkisch genügte in meiner Umgebung.
Mit der Schule kam bei mir dann das
große Erwachen. Plötzlich war ich in einer Welt, deren Sprache ich
nicht verstand, ich nicht sprach.
Förderunterricht, Lehrer, die mich zum
Schuleignungstest schickten, etliche peinliche Momente der Stille,
der SPRACHLOSIGKEIT, der Verständnislosigkeit, waren die Dinge, die
mich seit meiner Kindheit prägten. Ich kann mich an einen Arztbesuch
erinnern, wo mich ein deutsches Kind ansprach, weil er der Meinung
war, ich wäre viel zu alt für das Spielzeug, womit ich spielte. Ich
war sauer auf mich selbst, weil ich ihm nicht entgegnen konnte, dass
es ihn nichts zu interessieren hätte.
Meine Mutter sagte zu mir immer, ich
müsse mich mehr anstrengen als die anderen, ich hätte eben mehr zu
tun, jedoch könne ich das erreichen, wenn ich wollte. Sie wollte
selbst immer die Schule beenden, Polizistin werden. Ich kann mich gut
an den Tag erinnern, als sie mir ihre Tagebücher zeigte, mit Bildern
von Polizisten bei der Arbeit.
Ich begriff, dass ich eine Chance
hatte, die ihr niemals geboten wurde. Dass sie wollte, dass ich das
machte, was sie nicht geschafft hatte.
Also kämpfte ich.
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